Wenn Wasserstoff das Erdöl ersetzen soll: Die Transformation der Energiewirtschaft spaltet Import- und Selbstversorgungsbefürworter


Von Annegret Handel-Kempf

München, 5. November 2020. Mit Wasserstoff das Wohnzimmer heizen oder die Waschmaschine antreiben? Das macht wenig Sinn, wenn es um ein einzelnes Eigenheim geht. Zu hoch sind die Verluste beim Hin- und Her-Umwandeln der Energie. Zu schlecht somit die Umwelt- und die Wirtschaftsbilanz. Darin sind sich viele Wissenschaftler einig. Eine Option gibt es doch für Haushalte, wenn es nach Federico Giovannetti vom Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH) geht. Diese sieht der Forscher in bestehender Infrastruktur in Form von Wärmenetzen für Gebäude, in die „grüner Wasserstoff“ aus erneuerbaren Energien eingespeist werden könnte. In den Politiken sei Raumwärme aus grünem Wasserstoff, auch wenn er in solch großen Maßstäben verwendbar wäre, jedoch „wohl nicht priorisiert“, erläuterte der Ingenieur für Architektur- und Bauwissenschaft, der auch einen Doktor in Philosophie hat, bei der Jahrestagung des Forschungsverbands FVEE.

Anders sieht es mit Flugverkehr, Schiffsverkehr und Industrie aus. Erdöl soll dort bis 2030 oder 2050 weitgehend durch Wasserstoff ersetzt werden. Der Wegfall des Erdölgeschäfts könnte in manchen Ländern des globalen Südens damit kompensiert werden. Beispiele sind Saudi-Arabien und Mali. Wobei Versorgungssicherheit zu gewährleisten ist, zudem mögliche regionale Konflikte in den sonnenreichen Ländern einkalkuliert werden müssen. Außerdem deren verbleibende Möglichkeiten, trotz Wasserstoffproduktion für Industriestaaten, selbst auf Erneuerbare Energien umzustellen. Sicherheitsfragen spielen auch beim Transport eine Rolle. Ebenso Arbeitsplätze in Deutschland: Warum nicht gleich selbst Wasserstoff hierzulande herstellen?

Bei der Jahrestagung des Forschungsverbandes Erneuerbare Energien FVEE waren zum Thema „Import von Wasserstoff“ vorsichtige und kritische Stimmen zu hören. Manche Vortragenden und Tagungsteilnehmer bevorzugten regionale Lösungen. Aber auch die Losung „Deutschland wird Exportweltmeister bei den EE-Technologien und Importweltmeister beim Wasserstoff“ tauchte auf. Stichwort: Außenhandelsbilanz. Die Importeure sollen sich das Einkaufen weiter leisten können. Die Frage: „Ist es gut für die anderen, wenn die für uns den Wasserstoff produzieren?“, stellte Alexander Dyck vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in den Raum.

Kein Zweifel: Der „Green Deal“ der Europäischen Union und die Klimastrategie der Bundesregierung haben viele Gesichter.

Die Politikwissenschaftlerin Eva Hauser vom Saarländer IZES-Institut äußerte im FVEE-Chat: „Der Weg, den wir in BEniVEr wählen wollen, ist der, Typen von Ländern zu bilden, für die man unterschiedliche Risikoabsicherungsstrategien entwickeln sollte.“ – Im Rahmen der Forschungsinitiative „Energiewende im Verkehr“ (BEniVEr) untersucht die Begleitforschung fachübergreifende Analysen zu technischen, ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Entwicklung strombasierter Kraftstoffe und weiterer nicht-fossiler Erdölsubstitute sollen so von Instituten und Forschungsbereichen in größere Zusammenhänge gestellte werden. Die Initiative wird gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Das Thema „Wasserstoff“ wird vielerorts diskutier, intensiv erforscht und kommentiert.

Das Wuppertal Institut / DIW Econ führte in einer „Bewertung der Vor- und Nachteile von Wasserstoffimporten im Vergleich zur heimischen Erzeugung – Studie für den Landesverband Erneuerbare Energien NRW e. V. (LEE-NRW) vom 3. November 2020 an: „Nach einer Studie im Auftrag der Energieagentur NRW (Schindler 2019) können dagegen bereits heute die Produktionskosten von Wasserstoff aus onshore-Windstrom (ca. 80 €/MWh) in Deutschland als konkurrenzfähig mit den Importkosten aus Nordafrika der anderen Studien betrachtet werden.“ Diese Anmerkung findet sich unter der Überschrift: „Importkosten für grünen Wasserstoff aus Nordafrika gemäß Studienlandschaft“.

Christian Mildenberger, Geschäftsführer des LEE NRW, äußerste anlässlich der Veröffentlichung der Bewertungsstudie: „Im Energieland NRW sind die Unternehmen auf die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff angewiesen, um ihre Produktion klimaneutral zu machen.“ Die Studie zeige durch ihre Gesamtbetrachtung eindrücklich auf, dass dieser besser im eigenen Land erzeugt werden sollte. Mildenberger weiter: „Es wird zudem klar, dass H2-Importe nicht automatisch günstiger sind und die Wertschöpfungseffekte bei heimischer Produktion ein neues Wirtschaftswunder in Deutschland auslösen könnten, mit Blick auf die potenziellen Arbeitsplätze. Und die Erneuerbare-Energien-Potenziale dafür sind da.“

Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), sprach sich ebenfalls dafür aus, grünen Wasserstoff regional zu erzeugen: „Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie haben wir in Deutschland bisher nur beschlossen, grünen Wasserstoff in großem Stil zu konsumieren. Jetzt muss auf die Agenda, ausschließlich grünen Wasserstoff zu fördern und ihn dann auch hier zu produzieren.“ Die Bundesregierung müsse „Blockaden lösen“ und Anreize setzen, um die entsprechende Zahl von Elektrolyseuren für grünen Wasserstoff, die Infrastruktur und ausreichend Strom aus Erneuerbaren Energien im eigenen Land zu erzeugen. Auf diese Weise würden Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz in der modernen Energieversorgung vereint.

Autorin: Annegret Handel-Kempf

Die Grafik zeigt die Prognose der Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte bei unterschiedlichen heimischen Produktionsanteilen, die mit einer heimischen Wasserstofferzeugung in direktem oder indirektem Zusammenhang stehen.

Bemerkung: „Untere Grenze“-Szenario entspricht 0% heimischer Produktion, „NWS“ entspricht 14 %, „Umlaut“ entspricht 45 %, „90 %“ entspricht 90 % und „Obere Grenze“ entspricht 100 %.

(Quelle der Abbildung und ihrer Erläuterungen: Pressemitteilung des BEE)

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