Der ferne Traum von der großen Tennisfamilie

Alexander Zverev verabschiedet sich von seinem Traum, ein Familienauto bei den BMW Open 2022 in München zu gewinnen

Olympiasieger Alexander Zverev spielt übernervös vor Zuschauern in Deutschland

So ganz angekommen wirken manche Mitwirkende noch nicht beim Zurechtrutschen auf dem Sandplatz. In einer Zeit zwischen Pandemie-Verdrängung und neu inszenierter Neben-Schauplatz-Normalität. Eine Unruhe ist zu spüren, die sich aus geopolitischem Unheil nährt, auch in der sonstigen Wohlfühl-Oase des Tennisevents BMW Open. Selbst für Olympiasieger Zverev.

Impressionen von Annegret Handel-Kempf

Was kann der Andrey Rublev denn dafür, dass er Russe ist? – Ein schwieriges Thema. Ein ums andere Mal beteuerte Alexander Zverev an jenem sonnigen Apriltag des Jahres 2022, knapp zwei Monate nachdem russische Truppen die Ukraine attackiert haben, vor der versammelten Presse auf dem Centercourt am Aumeister in München sein Unverständnis darüber, dass russische Tennissportler etwa mit dem Ausschluss vom Turnier in Wimbledon sanktioniert werden sollen. „Wir sind alle eine große Familie“, sagte Zverev, genannt „Sascha“, über sich und seine Sportkollegen verschiedenster, zufälliger Geburtsnationalitäten aus der ganzen Welt. Und: „Andrey ist mein bester Freund.“ Der russische Top-Ten-Spieler spende, zeige, dass er bereit sei, der Ukraine zu helfen, dass er den Krieg nicht gut finde: „Was soll er denn noch tun?“, fragte der jüngere der Tennis-Brüder Zverev, deren Eltern noch vor seiner Geburt aus den schwierigen Bedingungen für Profitennisspieler im einstigen Sowjetreich ausgewandert waren. – „Wir sind alle für den Weltfrieden“, sagte der gebürtige Hamburger. Und verwies auf die Weltbürger-Identitäten der ständig um den Globus reisenden Tennisstars. Auf Wohnsitze und Lebensmittelpunkte, die sich aus ihrem aktuellen Arbeits- und Privatleben erklären – nicht aus ihrer einstigen Herkunft.

Der Blick in seinen Team-Block hilft nicht: Gegen Holger Runes schlaue Stopball-Strategie fiel dem angespannten Sascha Zverev keine Lösung ein. Copyright der Fotos: Annegret Handel-Kempf

Politische Sanktionen lasten teils auch auf Rublev und dessen russischen Sportkollegen. Zverev kämpft indes mit dem Druck, nach seinem Olympiasieg im vergangenen Sommer jetzt auch die Nummer eins des Tenniskosmos’ werden zu wollen. „Australien war sehr traurig“, sagte Zverev über seinen schlechten, mental unfreien Saisonstart.

Vor seinem ersten Match in München war der zweifache BMW-Open-Sieger optimistisch: „Ich bin sehr motiviert. Ich bin 25 Jahre alt geworden und gehe in Richtung dort, wo der Höhepunkt meiner Karriere sein sollte.“ Das Sandplatz-Turnier in München, bei dem die alljährliche Teilnahme für Sascha „ganz normal“ ist, hätte den Weg dazu ebnen können. Wenn nicht mit einem dritten Sieg plus zugehörigem Luxus-Auto, so doch mit ein wenig Entspanntheit beim beliebten Nähe-Turnier am Iphitos-Gelände. Dort, wo die Bälle so schön hoch in den bayerischen Himmel voller Wetter-Überraschungen fliegen.

„Ich bin mit einem guten Gefühl hier, dass sich vieles ändern kann und ich dann das beste Jahr meines Lebens haben werde“, sagt der Olympiasieger 2021 aus Deutschland. Das gute Gefühl vom Olympiasieg weiter mitnehmen – dafür braucht es vielleicht doch mehr, als im Frühling 2022 einmal mehr in einem Deutschland-Shirt auf den Centercourt zu kommen. Weniger Nervosität, die ein unheilvoller Begleiter des Erfolgs sein kann?

Der Sunny-Boy ist nachdenklicher geworden. Der 25-Jährige wirkt nicht mehr blauäugig siegessicher, er äußert nicht mehr klar seinen Anspruch auf den Spitzenplatz der ATP-Liste.

Neustart geplant

Acapulco und die Schiedsrichter-Causa, die Fragezeichen um die Beschaffenheit einer früheren Beziehung. Die schon sechs Monate währende Abwesenheit seines Trainer-Vaters, der desaströse Start in dieses Tennis-Jahr: Mit einem Vierteljahrhundert Lebenserfahrung im Tennisrucksack hadert Zverev nicht mehr mit Details in seinem Alltag. Eher akzeptiert und reflektiert der sehr schmal gewordene Spieler sein Leben als Sport-Star eines wohlgelittenen Nischensports, wie es ist. Wenn er nicht gerade frisch verloren hat und sich sein mangelhaftes Reagieren auf den Gegner nicht erklären kann.

Fünf Tage vor seiner Achtelfinal-Niederlage glitt ein Schmunzeln über Saschas Gesicht, als neben dem Centercourt der BMW I4 enthüllt wurde, das erste vollelektrische Siegerauto bei den BMW Open. Eines der Autos, die so schön ruhig und leise fahren und mit dem richtigen Energiefutter der Umwelt weniger weh tun. Was Zverev, der schon zwei sportliche Fahrzeuge des bayerischen Herstellers gewonnen hat, daran besonders gefiel: „Endlich ein Viersitzer!“ Der aktuell beste deutsche Tennisspieler war während der Pandemie Vater geworden.

Vom vollelektrischen Familienauto muss der 25-Jährige vorerst weiterträumen. Wehmütig schaute der frisch geschlagene Achtelfinalist am Mittwoch bei seiner Pressekonferenz in München auf die Miniatur des Sieger-PKWs: Mit dessen großer Ausführung wird in diesem Jahr ein anderer davonfahren.

Wer, war nach Zverevs früher Niederlage noch unklar: Vielleicht wird es Holger Rune sein, der 18-Jährige, der den Olympiasieger aus Hamburg im Achtelfinale respektlos aus dem Turnier spielte. Erfrischend frech und klug angelegt. Eines fehlte dem jungen Dänen zur Wochenmitte – neben dem Gesamtsieg – allerdings noch: Die Lizenz zum Fahren. Und zu seinem Glück all die Grübeleien über Erfolge, die eine gefürchtete Vorhand unbegreiflich schwer werden lassen und einen Matchverlauf ins persönliche Nirwana schicken. Darüber weiß Alexander Zverev mehr, gerade weil er eine Goldmedaille zuhause hat.

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