Die Linguistik der bayerischen Windkraft und des norddeutschen Politikstils aus Berlin


Analyse/Meinung:

„1 Windkraft von Robert“ mit der Ruhe stiftenden Rhetorik?

Beim Besuch des Superministers aus Berlin in Bayern verzichtet Habeck auf „hoheitlichen“ Habitus und hört genau hin

Robert Habeck hat eine spezielle Art zu reden. Der 52-jährige Philosoph, Germanist und Philologe liebt lange, komplizierte Satzkonstruktionen. Er wählt Begriffe, die von einfacher Sprache weit entfernt sind. Überraschend kommt der grüne Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister mit der großen Machtspanne immer wieder sehr konkret zur Sache. Ungeachtet dessen, dass der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit einem hurtig verschnaufenden: „der Minister“, Habecks Machtweite qua Amt und Sprachkompetenz mit einem sprachtaktischen Kürzel zu verengen sucht.

An diesem kalten, leicht verschneiten Januartag in München sagt der Gast aus Berlin etwa: „Der Windkraftausbau ist in Bayern völlig zum Erliegen gekommen.“ Später dann, bei derselben Pressekonferenz zum Besuch des Regierungsvertreters, scheint er sich sogar in kindgerechter Sprache ermutigend auf die Seite der mit einer 10H-Abschaffung hadernden Bayerischen Staatsregierung zu schlagen: „Wenn die Ausbauzahlen wieder deutlich an Fahrt gewinnen, kommt das nächste Bundesland: „Guck doch mal, was die Bayern machen“… Dann kommt das hoffentlich voran.“

Es ist erstaunlich: Habeck malt ein Schlaraffenland in die Köpfe seiner Zuhörer, wie schön und vorbildlich es sein könnte, wenn Ausnahmeregelungen, die Söder anstelle einer Abschaffung von 10H anbietet, tatsächlich greifen sollten. Mehr noch: Er streichelt das Ego von Menschen, ob Gewählte oder Wähler, im südlichen Freistaat. Der Klimaschutzminister zeigt sich bewusst fürsorglich und dankbar, eingedenk der Tatsache, dass kein bayerischer Minister mit eigenem Ministerium derzeit in der Bundesregierung vertreten ist.

Habeck, der listig-pragmatisierende Philosoph stellt Bayern als Vorzeigeschüler vor eine Handvoll anderer vermeintlich lernunwilliger Bundesländer, die mit dem dringend notwendigen Ausbau der Windkraft nicht recht vorankommen. Die zu wenig Energie aus den Regungen der Lüfte nutzen, obwohl sie keine Abstandsregelungen haben, bei denen die Höhe der Windräder und die Entfernung zur nächstgelegenen Siedlung korrelieren.

Damit kommt der Schleswig-Holsteiner, der das politische Tagesgeschäft beim Ausbau der Umweltfreundlichkeit aus seiner Zeit als Landesminister beherrscht, dem machtbewussten, Bayerischen Ministerpräsidenten auf der Diskussionsebene entgegen. Anstelle „hoheitlich“ 10H auf Bundesebene einzukassieren. „Finde ich sehr gut, dass Sie auf Dialog und nicht allein auf Hoheitliches setzen“, sagt der CSU-Politiker zum hochrangigen Bundesminister, der auf bevormundende Töne komplett verzichtet, wie sie seiner Grünen-Partei teils vorgeworfen werden. Mit Habeck habe er ein „konstruktives Gespräch geführt, sachkundig“. Söder begründet die gelungene Annäherung zu den Abstandsregelungen zwischen Bayern und Bund, über das Gespräch statt über das Gesetz, mit dem Argumentationseinstieg: „Wenn man die intellektuelle Bereitwilligkeit hat, sachkundig zu diskutieren…“.

Die Frage nach dem Beschreiten von Pfaden

Das Ziel ist der Weg im Prozedere des politischen Taktierers aus dem Überlegungskosmos, der sich auf die Überlebensmöglichkeit der Welt und mit ihr der Wirtschaft gründet. Habecks unverhohlene Motivation, vorerst nicht auf eine Abschaffung von 10H zu beharren, leitet sich möglicherweise aus dem von ihm favorisierten, pragmatischen Idealismus her: „Wir werden uns an verschiedenen Stellen immer gegenseitig brauchen. Wenn es aber gelingt, dass die gesellschaftliche Bereitschaft zu einer positiven Dynamik führt, sind wir auf dem richtigen Pfad.“

Aus Habeck sprechen zugleich vorsichtige Skepsis und motivierende Zuversicht: „Markus Söder sagt, dass 10H kein Verhinderungsszenario ist. Wenn dem so ist, muss man weitersehen.“ Der Wirtschafts- und Klimaschutz-Superminister erwähnt das Stichwort „Staatsforst“, welches Söder bereits im Sommer ins Spiel gebracht hatte. Es geht dabei um Wald, der als Aufstellfläche für unbegrenzte Windräder dienen soll. „Es wird von vierstelligen Zahlen geredet“, sagt Habeck. „Wenn das so ist, ist das eine Menge. Wenn weitere Maßnahmen hinzukommen, sind wir auf einem guten Pfad.“ Nachdem den Ankündigungen Söders vom Sommer noch nichts Offensichtliches gefolgt ist, überrascht Habecks nächster Satz nicht: „Die Frage ist, wird dieser Pfad beschritten.“

Söder indes gibt sich defensiv, springt argumentativ in die psychosoziale Ebene, betont gar eine Empfindung: „10H nicht als Verhinderungs- sondern als Bürgerbegleitungsinstrumentarium“. Passend winkt der Bayerische Ministerpräsident mit Belohnungen: „Wir haben über Ausnahmen geredet, zum Beispiel Repowering.“ Eines seiner Zugeständnisse in seinem ersten Windenergie-Gespräch mit dem neuen Bundesminister besteht darin, anzukündigen, Windkraftanlagen zu erneuern, die schon vor der 10H-Regelung bestanden, also für ihre Höhe quasi zu nah an Gebäuden stehen, statt sie 10H-regelkonform und ersatzlos zu demontieren.

Dem Nordlicht Habeck kommt es nach Lage der Statements nicht auf Bevormundung, nicht auf die reine Lehre an, sondern auf den „Spirit“: Ein Stichwort, das er während eines Statements des Bayerischen Ministerpräsidenten einwirft.

Söder dazu: „Wir in Bayern haben einen anderen Spirit. Wind ist aus der Ferne wahnsinnig sympathisch, aus der Nähe ist er manchmal sehr erdrückend.“ Das Angebot des Bundes zu reden sei neu: „Ursprünglich hieß es, 10H kommt weg.“ Habeck habe angeboten, über andere Genehmigungsfragen, beispielsweise mit Blick auf den Naturschutz zu reden. „Das hat auch mit Wasserkraft zu tun. Wir alle wollen regenerative Energien und günstigen Strom aus regenerativen Energien.“

Eine Demonstrantin, die auf Habeck wartet, hält vor den Türen der Bayerischen Staatskanzlei ein Pappplakat in die Kameras: „Robert, ich will 1 Windkraft von dir.“ Bis auf weiteres bekommt sie allerdings fürderhin 10H vom Bayerischen Ministerpräsidenten.

Dabei gibt Markus Söder zu: „In der Tat beim Wind – da liegen wir auf Platz acht.“ Ein „Sprungbrett auf mehr“ bei den Erneuerbaren Energien sei „tatsächlich da“. Obwohl Bayern der Primus, der Erste, in so vielen anderen Feldern der regenerativen Energien sei.

Habeck sagt noch etwas, als er nichts mehr sagen soll. Als die Pressekonferenz für beendet erklärt wird. Er stellt etwas klar, zum Thema, dass Bayern ohne Minister im Bund nicht ausreichend Gehör finden könnte: „Schleswig-Holstein hat lange Zeit keinen Minister in der Bundesregierung gehabt. Ich möchte nicht so denken. Ich bin Bundesminister für Deutschland, nicht für ein Bundesland.“ Darum, dass die Windkraft in Bayern ausgebaut wird, kümmere er sich „aus Sorge um die nationale Versorgungssicherheit“. Der Bundeswirtschafts- und -Klimaschutzminister erwähnt Verhinderung und Unterbietungswettbewerbe, konstatiert ein weiteres Mal in schlichter Manier: „Da sind wir, im Kreislauf nach unten“.

Robert Habeck wählt als Chef des entscheidenden Zukunftsressorts der Bundesrepublik Deutschland, zum Abschluss des Anfangs seiner Verhandlungen mit Bayern, einfache Worte: „Wir brauchen die Erneuerbaren, um als Bundesrepublik zu brillieren.“

Annegret Handel-Kempf, München, 20. Januar 2022

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